ALBERT LANDERTINGER: FASZINATION MUSIKVERMITTLUNG
Der Mitbegründer der MOVE.ON Orchesterwerkstatt des Bruckner Orchester Linz im Gespräch mit Linda Gillmayr
Was war der Ausgangspunkt für Ihre Arbeit als Musikvermittler?
AL: Im Rahmen meines Studiums der Soziologie an der JKU habe ich eine Seminararbeit über das Thema „Kulturvermittlung“ geschrieben. Dieser moderne Ansatz hat mich von Anfang an interessiert und begeistert. Darüber hinaus habe ich in meinem Bereich – der Orchestermusik – einen ganz hohen Bedarf gesehen. Damals gab es definitiv nur zwei verschiedene Konzertformate und diese waren meiner Erfahrung nach weder zielgruppen- noch altersgerecht.
Ich habe dann mit einer Kollegin aus der Jeunesse Austria, Johanna Möslinger - heute interimistische Leiterin des Brucknerhauses Linz - begonnen, gemeinsam mit unserem damaligen Chefdirigenten Dennis Russell Davies, unserem Orchesterdirektor Heribert Schröder und dem Kaufmännischen Direktor Dr. Thomas Königstorfer systematisch Musikvermittlung im Bruckner Orchester Linz aufzubauen und zu integrieren.
Gemeinsam mit Christiane Bähr, damals im MOVE.ON Büro und unserem Generalsekretär Oliver Deak entwickelten wir MOVE.ON zur heutigen Form.
Als geeignete Organisationsstruktur wurde in der TOG die MOVE.ON Orchesterwerkstatt gegründet, die seither als wichtige Säule in der Organisation fest verankert ist.
Gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern gehörten wir zu den Pionieren im deutschsprachigen Raum, die Musikvermittlung als eigenes Department einführten.
In der Pionierphase entstand vieles durch Ausprobieren, Learning by Doing, durch den Austausch mit der Orchesterleitung, mit den Kollegen und Kolleginnen im Orchester, den Lehrerinnen und Lehrern, dem Feedback der Kinder und der unendlichen Begeisterung für die Sache. Zusätzlich basiert die Arbeit von MOVE.ON auf einer wissenschaftlichen Basis, die auch internationalen Ansprüchen entspricht. Ich habe diesem Thema auch meine Dissertation an der Musikuniversität Wien gewidmet.
In dieser Aufbruchsstimmung konnte ich aufbauen, ausprobieren und die Arbeit von MOVE.ON fest im bestehenden Konzertbetrieb verankern.
Ich war bei vielen internationalen Kongressen dabei, habe mir viel angeschaut und war in kontinuierlichem Austausch mit den Musikvermittlerinnen und Musikvermittlern aus England und Deutschland. Aufgrund meiner Erfahrung als Orchestermusiker entwickelte ich dazu einen für ein Orchester stimmigen Ansatz – mein Zugang zur Musikvermittlung ist immer aus der Musik heraus zu verstehen. Ich lasse mich da von der Musik leiten und vermittle Melodien, Harmonien und Rhythmen über Singen, Klatschen, Sprache, Musizieren und Bewegen. Mir ist es ein Anliegen, von Beginn an Musik ganzheitlich erlebbar zu machen und die positive Resonanz der Kinder hat mir diesen Zugang immer wieder bestätigt.
Wie hat alles begonnen?
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne....,.
Begonnen hat alles mit Workshops in Schulen zur Konzertvorbereitung der Kinder und Lehrer und Lehrerinnen. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Orchester sind wir alle gemeinsam ins kalte Wasser gesprungen und haben in ganz Oberösterreich Schulklassen besucht und mit den Kindern musiziert.
Aus den Instrumentengruppen Streicher, Holzbläser, Blechbläser bis zum Schlagwerk - alle Kollegen und Kolleginnen haben sich für diese Form der Vermittlung begeistert.
Die ersten Pioniere im Orchester waren dabei Anton Miesenberger, Posaune, die Soloflötoistin Ildiko Deak, Simone Schreiberhuber, Violine, Gabriele Kindler, Oboe.
Schon bald kamen Gerhard Paal, Bratsche und Regina Angerer-Bründlinger, Trompete dazu.
Und noch viele weitere tolle Kolleginnen und Kollegen, die bei Wind und jedem Wetter mitgeholfen haben. Sie haben viele Kilometer am frühen Morgen zurückgelegt, um die Kinder vom nördlichsten Mühlviertel bis zum äußersten Innviertel für die klassische Musik zu begeistern.
Der Dank dafür war großartig. Die Kinder kamen vorbereitet und manchmal mit selbst gebastelten Transparenten ins Konzert und jubelten ihren persönlichen Stars im Orchester zu.
Seither hat sich MOVE.ON zur international anerkannten Musikvermittlungsinstitution formiert.
Besonders freue ich mich, dass aktuell so viele junge Musikerinnen und Musiker des Orchesters wieder hinaus in die Schulen fahren und dass Eszter Augusztinovicz und Christina Hodanek das Projekt voller Tatandrang weiterführen werden.
Wie wurden die Konzertformate neu gestaltet?
Am Beginn standen die Jugendsymphoniekonzerte – die haben wir nach Altersgruppen aufgeteilt. Es gab ab diesem Zeitpunkt School.Concerts für 9-12- jährige und die Jugendsymphoniekonzerte für Schüler ab 13 Jahre.
Dann kamen die Kids Konzerte für Volksschüler von 6-9 Jahren dazu. Diese Konzerte sind auch heute noch ein absoluter „Renner“ und wichtiger Bestandteil unserer Arbeit.
Schließlich gestalteten wir auch die Familienkonzerte im Brucknerhaus um. Eine wesentliche Erneuerung war die Mitwirkung von Tanz und Bewegung durch die damalige Solotänzerin im Landestheater Linz Ilja van den Bosch, jetzt Leiterin der OÖ Tanzakademie, und den spanischen Tänzer Daniel Morales Perez. Erstmals konnten durch die pädagogische Arbeit der beiden Tänzer Kinder auch auf der Bühne mitwirken - für die Kinder und das Orchester ein wunderschönes bereicherndes Erlebnis. Auch das Publikum war begeistert und fasziniert von diesem Konzertereignis. Das Brucknerhaus war in diesen Jahren zweimal restlos ausverkauft.
Dieses Konzertformat wurde 2016 vom Brucknerhaus eingestellt und wir haben es dann in veränderter Form in einem neuen Konzept im Musiktheater in das Abo 8 Aufwärts übernommen.
Dann fehlten uns noch die Kindergartenkinder und die ganz Kleinen.
2011 kamen die Konzerte mit Topolina – der musikalischen frechen Musikmaus dazu. In Form von Geschichten wird Kindern im Alter von 3-6 Jahren die Welt der Musik eröffnet. Die Kinder erleben erstmals die Klänge eines Klaviers, einer Geige, einer Posaune, eines Akkordeons, eines Kontrabasses, einer Harfe oder eines Schlagwerks.
Die erste Vorstellung unter dem Titel „Topolina und Maki“ wurde mit der Klaviervirtuosin Maki Namekawa aufgeführt und auch auf CD aufgenommen.
Mittlerweile durfte ich als Alberto 35 verschiedene Abenteuer der Musikmaus Topolina mit unterschiedlichen Ensembles erzählen und mit den Kindern singen, tanzen und Spaß haben.
Für die allerkleinsten Konzertbesucher gibt es die Kuscheltierkonzerte, die ich gemeinsam mit Intendant Hermann Schneider initiieren durfte und von meinen Kolleginnen Annekatrin Flick und Christina Hodanek betreut werden.
Last but not least gibt’s auf der Musikvermittlungsreise das Format „Albertos Abenteuer“ als Angebot für Familien ab 5 Jahren. Manche Kinder, die bei Topolina ein Abo hatten, haben bitterlich geweint, als sie zu groß für Topolina geworden sind. Einmal meinte ein 6-jähriges Kind mit Tränen in den Augen „Ich bin zu alt für Topolina“– mit Albertos Abenteuer wurde Abhilfe geschaffen und sie wurden dann begeisterte Konzertbesucher dieses Formats.
Musikvermittlung von 1 bis 99 Jahre ist das Ziel. Ich habe auch bereits viele Workshops für Erwachsene gemacht, die durch diesen Ansatz ein neues berührendes Konzerterlebnis genießen durften.
Das Angebot wurde ständig den Bedürfnissen der Zielgruppen angepasst und wächst weiter.
Welche Herausforderungen gibt es bei der musikalischen Bildung von Kindern und Jugendlichen?
AL: Am wichtigsten ist es, eine Verbindung zur Lebenswelt der Kinder herzustellen. In den Workshops und bei der Moderation im Konzert versuche ich, an diese Welt anzudocken. Besonders wichtig ist mir auch das Lernen übers Tun.
Lebenswelt und gemeinsames Tun müssen miteinander verbunden werden – so entsteht die Beziehung zur Musik. Bei kleinen Kindern ist die Lebenswelt ihr Zuhause und ihre Spielwelt – bei größeren Kindern und Jugendlichen verlagert sich diese Erfahrungswelt in den Freundeskreis und in die Schule.
Im aktuellen Konzert im Frühjahr 2025 für die Volkschule gibt es z.B. eine kleine musikalische Szene auf dem Fußballplatz. Hier lässt sich wunderbar mit Rhythmus und Melodie arbeiten.
Ich habe viel gelernt von Ilja van den Bosch und Daniel Morales Pérez. Sie haben mir beigebracht, dass Musik auch körperlicher Ausdruck ist. Alles, was wir machen, ist Emotion und damit ergibt sich eine Inspiration zum Ruhigsein, zum Laufen, Hüpfen, Ducken etc.– Bewegungen aus dem Alltag. Am Anfang habe ich mir das nicht zugetraut, ich war zu sehr aufs Musizieren fixiert. Ich hatte Sorge, dass durch Tanz und Bewegung alles aus dem Ruder läuft. Aber es hat immer gut funktioniert. Ich habe keine Angst mehr davor, dass es eskaliert und zu wild wird in der Klasse oder im Konzert. Und diese Erfahrung ist für mich ganz wunderbar – Musik ist Bewegung und Emotion.
23 Jahre Musikvermittlung. Was hat sich geändert?
Heute braucht es sehr viel mehr Energie, um im Klassenzimmer zu musizieren und ein kleines Musikstück zu erarbeiten. Es ist für uns Musiker schwieriger geworden, mit den Kindern in den Klassen auf den Orff-Instrumenten zu spielen. Oft fehlt die Konzentration.
Wir konnten früher noch komplexe Werke wie Petruschka, Feuervogel, Romeo und Julia, Die Liebe zu den drei Orangen in den Workshops einstudieren. Heute geht das nicht mehr so einfach aus welchem Grund auch immer. Trotzdem bleibt das gemeinsame Musizieren ein besonderes Erlebnis. Auch heute bekommen wir nach jedem Workshop die Rückmeldung von den Kindern, dass es ihnen am meisten Spaß gemacht hat, auf den Instrumenten zu spielen.
Am wichtigsten ist es meiner Meinung nach, dass man sowohl in den Workshops als auch in den Konzerten die Welt der Jugendlichen und Kinder integriert. Wir machen neben klassischer Musik auch Filmmusik und Popmusik. Das Mitsingen bei so manchem Popsong ist ein fixer Bestandteil.
Wie ist es, das Leben als Posaunist und Musikvermittler zu kombinieren?
AL: Das ist eine wunderbare Synergie und macht einen Unterschied zur praktizierten Musikpädagogik. Ich versuche im Klassenzimmer den Kindern meinen Zugang als Orchestermusiker zu vermitteln. Was bedeuten Klangfarben – wie entsteht ein gemeinsames Miteinander – das Klassenzimmer wird zu einem kleinen Orchester und wir erleben eine Situation wie wir Musiker in einer Probe.
Wenn ich gefragt werde, was MOVE.ON und ich für die Arbeit in der Musivermittlung brauchen, kann ich sagen, es ist die Unterstützung und Wertschätzung der Kollegen:innen im Orchester. Besonders wichtig ist mir etwa die Rückmeldung meiner Kollegen und Kolleginnen, ob die Workshops in den Schulen geklappt haben. Das erfahre ich meistens ganz unmittelbar – zum Beispiel am Abend bei einer Vorstellung, wenn ich meine Kolleg:innen im Orchestergraben treffe. Wir spielen tagtäglich für die Menschen, ob im Orchestergraben oder im Konzerthaus und versuchen wunderbare musikalische Momente und Erlebnisse zu schaffen. Und um genau diesen Spirit geht es auch in der Vermittlung.
Ich bin sehr dankbar, dass ich in den letzten 23 Jahren von meiner Posaunengruppe so viel Unterstützung und Wertschätzung erlebt habe.
Ebenso unverzichtbar ist auch der Support durch das Orchesterbüro bei der Planung und Durchführung. Ich kann nur sagen – herzlichen Dank für diese großartige Unterstützung und dass MOVE.ON in diesem Umfang möglich gemacht wird.
Was sind Ihre schönsten Momente als Musikvermittler?
AL:. Am meisten freut mich, wenn ich merke, dass die Arbeit aus den Workshops im Konzert umgesetzt werden kann. Das merkt man an der Aufmerksamkeit, am Mitmachen, Mitsingen und Mitfeiern.
Meine schönsten Momente in den MOVE.ON Konzerten sind jene, wo die Kinder konzentriert dabei sind. Das reicht vom aufmerksamen Zuhören bis zum ausgelassenen Mitsingen und richtig abfeiern. Früher haben manche Klassen sogar Transparente mitgebracht -auf denen stand oft der Name der Musiker, die in den Klassen waren. „Volksschule X grüßt Toni..“ Das war so lustig. Wenn Anton Toni Miesenberger auf die Bühne kam, haben die Kindern getobt und Toni winkte mit der Posaune zurück. Und so ging es ganz vielen Musiker:innen im Orchester. So entstehen Beziehungen. Das sind berührende Erlebnisse.
AL: Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
AL: Meine Leidenschaft für Musik und Musikvermittlung ist größer denn je. Mit zunehmender Erfahrung und Reichtum an Erlebnissen kann ich aus dem Vollen schöpfen und muss mich aber trotzdem dauernd weiterentwickeln. Das ist doch eine wunderbare Zukunftsvision, die mich auch den Spirit der Musik weitertragen lässt.
Ich werde weiterhin die Konzertreihen „Albertos Abenteuer“ und „Topolina“ in Linz und Wien fortsetzen. Wir planen wir eine Sing-Along-CD mit dem Bruckner Orchester Linz mit Highlights der schönsten Songs aus Filmen und Fernsehserien aus den MOVE.ON-Konzerten der letzten 23 Jahre. Viele Leute haben mich immer wieder gefragt, ob es Aufnahmen von diesen Konzerten gibt, da sie das einmalige Konzerterlebnis auch daheim wiederholen möchten.
In Wien werde ich an einem großen Kulturprojekt namens CAPE 10 mitarbeiten. Dieses Projekt wird geleitet unter der Schirmherrschaft der litauischen Mezzosopranistin Elina Garanca und Dr. Siegfried Meryn.
Zur Person:
Albert Landertinger, Jahrgang 1960, stammt aus St. Pantaleon im Innviertel und studierte Posaune in Salzburg und Berlin. Er promovierte zum Dr.phil.mit einer musiksoziologischen Arbeit zum Thema „Musikvermittlung in Orchesterkonzerten am Beispiel von MOVE.ON – die Orchesterwerkstatt des Bruckner Orchesters Linz“
Er ist Posaunist im Bruckner Orchester Linz seit 1984. Ab 2002 baute er das umfassende Musikvermittlungsprogramm MOVE.ON auf, das er konzeptionell und als Moderator bis heute betreut. Darüber hinaus ist er für verschiedene Institutionen und Orchester tätig, leitet Workshops für alle Altersgruppen und gibt Seminare in Konzertpädagogik an mehreren Pädagogischen Hochschulen Österreichs. Für das Landestheater Linz und den Musiverein in Wien gestaltet er seit der Saison 2011/12 den Zyklus „Topolina” für Kinder von drei bis sechs Jahren und seit 2017/18 „Albertos Abenteuer” für Sechs- bis Achtjährige.
