Fulminant mit der Fünften!
Der aufrüttelnde Mahler
kam aus Linz nach Wien
Markus Poschner und das Bruckner Orchester fulminant mit der Fünften
Weit und breit keine Spur von Routine, kein Verdacht auf Abonnentenfutter: Das Bruckner-Orchester Linz zeigte mit seinem Chefdirigenten Markus Poschner Flagge – und das just bei einem derart strapazierten Stück wie Mahlers fünfter Symphonie. Es riecht oft nach falsch verstandener Wiedergutmachung, wenn Mahlers Werke nach Zeiten des Vergessens und des Verbotes über Gebühr oft abgespielt werden. Wie leidet darunter doch die Qualität der Wiedergaben. Andrerseits ist für die Leistungsschau eines Orchesters diese Symphonie von vitaler Bedeutung. Sie sollte (müsste) technisch und gedanklich-inhaltlich bewältigt werden, besonders bei einer Stippvisite in der Hauptstadt.
Für die „Jeunesse“ gelang den Linzern nun im Musikverein eine bemerkenswert spannende und tiefschürfende Darstellung dieser vor Zerklüftungen und Verwerfungen nur so strotzenden Fünften. Mal wütet der Leibhaftige semper ubique, lässt alles und jeden explodieren, mal scheint die Sonne, mal lassen Glück und Liebe zu Ländler- und Walzerklängen grüßen. Fast 80 Minuten zum aufrüttelnden Thema des Menschenseins und dessen divergierender Existenzen. Das Bruckner Orchester wird solch extremen Anforderungen gerecht und schafft es, jene hypertrophen Inhalte klanglich zu fassen und in den Saal zu schicken, sodass ein Publikum sich betroffen zeigt.
Hornist spielt im Stehen
Das beginnt schon bei den einleitenden Trompetensignalen des Trauermarsches, die durch Mark und Bein gehen. Es kommt eben auf Nuance, Farbe und Bedeutung eines Tones an, die ein Musiker beizusteuern imstande ist. Nicht minder bravourös der erste Linzer Hornist, den Poschner beim raumgreifenden Scherzo eine Reihe auf dem Podium vorrücken und stehend spielen lässt – raumbeherrschend, als wär’s ein Hornkonzert von Haydn oder Mozart.
Das sind Botschaften, die kommen aus dem undefinierten Off, sicher nicht aus der Finsternis, eher von weit oben. Das Bruckner Orchester scheint zu seinem Chef eine spontane, direkte, zur Kooperation offene wie angestrebte Verbindung zu haben – wahrlich eine rare Besonderheit, die momentan nicht bei allen Wiener Orchestern zu bemerken ist...
Markus Poschner ist ein Dirigent des deutlichen und massiven Zugriffs. Bei Mahler besticht neben aller Bereitschaft zum inneren, emotionalen Engagement und seinem Sinn für Farben und Dramatik vor allem die Unerbittlichkeit, das Groteske dieser Musik in allen Facetten auch zu zeigen – damit spricht er ebenso das Bekenntnishafte der Botschaften des genialen böhmisch-wienerischen Musik-Philosophen an.
Als Aperitif 13-minütige „Inseln“ (2016) von Gerald Resch, illustrative Orchester-Ansichtskarten von der Nordsee. Eine hübsche, anschauliche, halbwegs fesch orchestrierte Petitesse. Da gilt der Wille fürs Werk, anderes hätte vielleicht schlechter zum Mahler-Koloss gepasst.
von Walter Gürtelschmied,
Die Presse
Dienstag, 9. November 2021
Foto: Reinhard Winkler
Hornist: Daniel Loipold